Lügen enttarnen mit Körpersprache – Interview

Wie erkenne ich Lügen in der Körpersprache? Dies ist die Frage, welche ich am häufigsten gestellt bekomme.

Jährlich gebe ich einige Interviews an angehende Berufsfachleute.
Das untenstehende Interview wurde im Rahmen der Berufsfachschule Gesundheit von 3 interessierten Auszubildenden  aus dem schweizerdeutschen transkribiert. Ihr Fokus lag darauf, wie durch nonverbale Kommunikation Lügen aufgedeckt werden können.
Viel Spass beim Lesen!

Ausschnitt aus der Abschlussarbeit «Lügen»: Das Interview mit Etienne Dubach

Etienne Dubach ist Experte für die nonverbale Kommunikation. In seinen Seminaren hat er unter anderem das Ziel, die Zuschauer zu lehren die Körpersprache zu lesen und dadurch Menschen besser verstehen zu können. Er möchte ihnen aber auch vermitteln wie man sie richtig anwendet, wie man «ohne Worte wirken».

Wie sieht bei Ihnen der Arbeits-Alltag aus? Was beinhaltet Ihre Arbeit? 

Neben Marketing, Administration und dem kreieren von neuen Seminar- oder Buchinhalten, arbeite ich ja in verschiedenen Mandate und für immer wieder neue Firmen. Ich bereite mich dann auf Kurse und Coachings vor, die ich gebe, vor. Welcher Klient erwartet mich? Um was geht es heute in meinem Seminar, Kurs, Coaching? Ich treffe letzte Vorbereitungen, wie Kontrolle der Präsentation oder Flipcharts, Prüfung meiner Daten und so weiter.
Es ist auch immer wichtig, dass man als Trainer in einem guten Zustand ist, dass man ready ist. Ich brauche ca. 1 Stunde Vorbereitung und dann bin ich bereit für den Kunden/Klienten und mein Seminar oder meinen Vortrag. Ich bin sehr fokussiert bei meiner Arbeit, das heisst, ich habe meist Arbeitstage von 09:00-19:00 – ohne wirkliche Pausen. Wenn mal eine Pause ist, bin ich wieder am Vorbereitungen treffen für nach der Pause. Als passionierter Trainer erfordert es grosses Engagement, jedoch fällt mir das nicht sehr schwer, denn ich werde bei meiner Arbeit ständig motiviert. Es ist für mich meine Passion und Leidenschaft, und dadurch schaffe ich anstrengende Tage. Ich habe nicht wirklich ein Standard, den ich jeden Tag habe, denn es ist immer abwechslungsreich und verschieden, ob als Führungsperson einer Gruppe oder als Coach eines Kunden.

Sie arbeiten täglich mit dem Thema Mimik und Gestik, wir spezialisieren uns vor allem auf Mimik und Gestik während des Lügens.
Haben Sie Erfahrungen damit gemacht? 

Nach Paul Ekman wird der Fokus auf die Gesichtsmuskulatur/ Mimik gelegt, er behauptet man kann aus dem Gesicht jede Emotion lesen, jedoch berücksichtigt er auch viele Emotionen gar nicht. Mimik und Gestik, ist eurer Annahme nach, der grösste Anteil beim Lügen, dass würde ich nicht so sagen. Meiner Erfahrung nach hat vieles anderes wie die Atmung, Haltung, Erscheinungsbild auch einen grossen Einfluss. Man kann es natürlich auf Mimik und Gestik reduzieren und da gibt es einige Gesten mit denen man sich verraten kann oder Mikroexpressionen, die man bewusst/unbewusst zeigt. In diesem Fall würde man sich dann verraten, aber es wäre falsch, das nur auf Mimik und Gestik zu reduzieren. Wenn es um Gesichtsausdrücke geht, hat jeder Mensch eine eigene Prägung, die er mitbringt und eigene Gedanken. Wenn jemand zum Beispiel Unsicherheit zeigt, ein umher schauen oder wenn der Kopf nach hinten geht, kann man das verschieden interpretieren. Nur weil jemand Unsicherheit zeigt, heisst das nicht, dass er lügt. Ein Beispiel wäre auch, wenn ich jemandem vorwerfe, etwas getan zu haben und dieser dann erschrocken reagiert, kann das heissen, er ist überrascht weil: 1. Oh nein, man hat mich ertappt oder 2. Wieso verdächtigt er mich? Ich würde das nie machen. Also könnte die Überraschung ein Indiz für eine Lüge sein, aber ohne den weiteren Hintergrund zu kennen und andere Anzeichen, ist diese Annahme lediglich eine bedeutungslose Vermutung. Damit eine Lüge identifiziert werden kann, sind mindestens drei Zeichen notwendig, die alle darauf hinweisen. Also beispielsweise, ein überraschter Blick, Selbstberührung zur Beruhigung und die Sprache. Trotzdem liegt man mit seinen Vermutungen oft falsch, deswegen sollte man immer eine Überprüfung machen und nachfragen: „Stimmt meine Vermutung?“. Man kann die Interpretationen direkt ansprechen und dann erhält man ziemlich schnell eine Antwort, dadurch lernt man Fehlinterpretationen und „richtige“ Interpretationen zu unterscheiden. Beim Ertappen einer Tat, kann der Täter seine motorischen Anzeichen kaum verbergen.

Kennen Sie genaue Anzeichen um Lügen direkt zu erkennen?

Also es gibt sogenannte Augenerkennungsmuster/Augenzugangshinweise, dass kennt man auch aus dem NLP (Neuro-Linguistisches Programmieren), die behaupten, das wir mit den Augen Gefühle zeigen. Stellen Sie sich einmal vor, wie die Aussicht aus Ihrer Wohnung/ Ihrem Haus aussieht? Die Tendenz, dass man nach oben schaut ist relativ hoch, man kann sich so schneller ein Bild machen. Man sagt auch, wenn ein Rechtshänder nach rechts schaut, also aus Fremdbeobachtung nach links, dann erinnert er sich an etwas. Schaut man jedoch nach links, also von aussen nach rechts, konstruiert man etwas, also man erfindet Dinge. Bei Linkshänder funktioniert das natürlich auch, es ist dann einfach seitenverkehrt.

Kann man anhand solcher Augenbewegungen festlegen, dass jemand lügt? Und können Sie Augenmuster, Gesten und Blicke sofort erkennen?

Man muss immer erst sein eigenes Verhalten analysieren. Es ist ein Aspekt, darauf zu schauen ob jemand ständig umherschaut. Nach Paul Ekman passen diese Augenbewegungen eher nicht zu seinen Ergebnissen. Umherschauen ist ein Anzeichen, dass jemand am Nachdenken ist. Wenn jemand also viel umherschaut, ist er am Denken, Erfinden und Konstruieren. Es braucht generell mehr Aufwand zu lügen, denn wenn man die Wahrheit kennt, muss man die Lüge zuerst erfinden. Man muss sich mehr Gedanken machen. Unsere Augen verraten ein Teil unserer Gedanken, wenn mich jemand fragt: „Was ist das?“, dann kann ich das leicht beantworten, muss ich jedoch lügen, brauche ich mehr Zeit, deshalb spielt auch das Timing eine zentrale Rolle. Timing zählt auch zur Körpersprache, bei Lügen muss man eher länger nachdenken, bei der Wahrheit braucht man weniger Zeit. Als aller erstes sollte man mit einer Person eine Baseline erstellen. Das heisst, man macht zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch/Interview. Durch das holt man sich eine Basis, denn man hat so einen Vergleichspunkt. Man nennt das auch einkalibrieren. Man schaut, ob jemand eher oft lächelt, brauchen sie viel Gestik während des Redens, bewegen sie sich viel oder eher wenig, schaut die Person eher zu mir oder an einen anderen Ort, während ich mit ihr spreche. Wenn sich das Verhalten einer Person, bei einem verankert hat, kann man Unterschiede seines Verhaltens festlegen. Nun hat man eine Ausgangsbaseline und diese kann immer als Vergleich genommen werden. Wenn man eine Frage stellt und das Verhalten dann irgendwie verändert ist, dann wird es spannend, denn man weiss, jetzt ist etwas anders als sonst. Die Person muss das Verhalten konstruieren und dass kann man feststellen.

Wir haben uns mit „FACS“, einem System, das von Paul Ekman erfunden wurde, beschäftigt, kennen Sie dieses Programm? Was halten Sie davon?

Ich habe es noch nicht benutzt, jedoch kenne ich es. Ich habe mir vor Jahren einmal überlegt, ob ich eine Weiterbildung in diesem Bereich machen soll. Es ist ein reizvolles System, aber ich bin eher der Praktiker, deshalb habe ich mich gefragt, was hilft mehr, was wirkt. Wenn man sich nur auf micro expressions fokussiert, dann lehrt man sehr schnell, wie man das Gesicht einschätzen kann, man hat eine Wahrnehmungsschulung und ein scharfes Wahrnehmen. Das Ganze hat mir persönlich nicht gereicht, weil micro expressions zeigt man nur ganz kurz und dann muss man sofort eine Einteilung machen, okay jetzt hat er das Gesicht verzogen, was hat er sich wohl gedacht? Man muss eine Voraussage machen, was ist gerade in ihm Vorgegangen. Einige Kollegen von mir, die arbeiten in Belgien in einer Firma namens „centre of body language“ und geben dort Einführungen und Seminare zum Thema micro expressions. Die haben die Wahl von Trump hervorgesehen. Wähler fotografiert und gefilmt, dort haben sie ungefähr 200 Wähler befragt und anhand von micro expressions herausgefunden, dass die Mehrheit positiv auf Trump reagiert. Ebenfalls die französischen Wahlen wurden vorausgesagt. Das kann man, jedoch liegt der Fokus nur auf dem Gesicht. Ich habe gemerkt, für mich ist das Ganze wichtig, nur schon, damit ich mich zur Sicherheit auf drei Wahrnehmungen festlegen kann. Das Gesicht wäre für mich ein zu schmaler Fokus, wenn mir aber mal langweilig wird, dann mache ich eine Weiterbildung darin. Ansonsten bin ich derjenige, der auf alles achtet-Wie ist seine Silhouette, wie nutzt er seine Haltung, Köpersprache, Augen, Gesten. Wenn er überrascht ist, weiten sich seine Augen oder geht er mit dem Kopf nach vorne? Dies alles passt nicht so ins Ekman System, es ist für mich aber spannender alles zusammen zu sehen. Ich bin auch ein Wirkungscoach, meine Ziele sind anderen zu helfen, ihre Wirkung zu optimieren und verbessern, das ist schwierig mit Ekmans System, denn dort liegt der Fokus auf dem Interpretieren. Die Körpersprachentools, die ich weitergebe, sind dazu da, um das eigene Auftreten zu verbessern, sein Charisma zu stärken, interessanter zu wirken, andere mit seiner Körpersprache überzeugen.

Unsere Hypothese lautet: „Durch ein intensives Auseinandersetzen mit dem Thema Lügen, können diese erkannt werden“, was denken Sie darüber? 

Ich denke, es hilft bei der Erkennung von Lügen, aber vielleicht nicht aus demselben Grund, den ihr denkt. Also ihr denkt vielleicht, wenn ihr micro expressions erkennen könnt, wisst ihr, was die Person in dem Moment gedacht hat, als sie etwas am erzählen war. Aufgrund dessen würdet ihr dann deuten, das was gesagt wurde stimmt oder nicht stimmt. Auch häufige Selbstberührungen können ein Indiz sein. Jedoch denke ich, ist es eher so, dass sich eure Wahrnehmung grundsätzlich verbessert, das heisst, man schaut jemandem nicht nur in die Augen, sondern nimmt auch die Peripherie -das Drumherum-wahr und was sonst noch alles existiert. Oder, dass ihr Gehörtes mit Gezeigtem vergleicht, denn die meisten Menschen achten meist nur darauf, was jemand spricht und nicht was sonst noch abläuft mit der Körpersprache. Ich denke, euer Fokus hilft euch grundsätzlich um Lügen besser zu erkennen. Ob euer Erfolg  nur vom Wahrnehmen der  micro expressions oder Gestik kommt, sei aber dahingestellt. Während Ihr es lernt oder euch selbstreflektiert, erhaltet ihr eine stärker entwickelte Wahrnehmung. Durch das merkt ihr kleinere Veränderungen vom Verhalten bei anderen. Dadurch seid ihr schneller im Wahrnehmen, was jetzt gerade passiert ist. Ein komischer Blick, ein kurzes Zusammennehmen, oder mit dem Bein gezuckt, diese Wahrnehmungen werden gesteigert wird, und ihr werdet euch bewusster, was in jemandem anderen vor sich geht.

Torsten Havenner ist ein Wissenschaftler, der in einem unserer Bücher vorkommt. Durch sein Interesse an Paul Ekmans Forschungen, hat er sich weitläufig damit auseinandergesetzt, und behauptete am Schluss, er könne, schon bevor jemand begonnen hat, zu sprechen, bestimmen, was diese Person sagen will. Denken Sie, das ist realistisch? 

Torsten ist ein Mentalist und hat er eine sehr starke Wahrnehmung. Er nutzt micro expressions und kann anhand dieser sagen, wohin die Person gehen will. Also das bedeutet, wenn eine Person einen Weg im Kopf hat, schaut er diese Person an und diese sagt anhand kleinster Augenmuster, wohin der Weg führt. Also ich glaube, er kann das gut und seine Magie ist auch zu guten Teilen darauf aufgebaut. Er kann kleinste Wahrnehmungen erkennen und für das hat er aber auch Jahre lang trainiert.

Geht es Ihnen manchmal auch so, dass Sie das Gefühl haben, dass Sie wissen was nun kommt?

Ich habe auch schon Leute überrascht, als ich sie fragte, «welches Bild hattest du gerade im Kopf?», oder «Möchtest du gerne gehen?». Man kann Leute damit überraschen, und dass ist auch manchmal schön.

Uns würde wunder nehmen, woher nehmen Sie sich Ihre Informationen oder welche Literatur können Sie uns empfehlen?

Es gibt ein Grundlagenbuch von Argyle, auf diesem wurde meine Berufsmatura-Arbeit aufgebaut. Es geht um Körperbewegungen. Sie sollten das eigentlich auch kennen, es ist ein riesen Schinken. Ich würde euch auch noch Bücher von Michael Grinder empfehlen, er hat quasi aus erfahrungswissenschaftlichen Hintergründen, mit 40 Jahren als Lehrer, sehr viele körpersprachliche Muster herausgefunden. Was ich wahrnehme bei der Literatur, die es gibt: Es gibt viele Kopien. Paul Ekman hat seine Studien gemacht, das können wir ihm lassen. Barbara und Alan Pease, die auch viel mit Körpersprache gemacht haben. Joe Navarro ist auch ein Urvater der modernen Körpersprache und hat viele Bücher geschrieben. Es gibt aber auch viele kleine Autoren, die jedoch eher «copy paste» machen und deswegen ist es für mich auch schwierig, eine Empfehlung zu geben. Michael Grinder- finde ich- hat inhaltlich Bücher, die viel hergeben und ist bestimmt ein spannender Ansatz.

In unserem Experiment wollen wir testen, ob wir unsere Probanden richtig einschätzen können. Also ob Sie uns anlügen oder die Wahrheit sagen. Glauben Sie dass uns dieses Experiment gelingen kann mit diesem Ansatz?

Das ist fraglich. Ihr könnt euch letztlich nur auf wahrnehmbare Grundmuster gehen, auf eine grobe Einschätzung. Wenn nur 30 Probanden habt, dann sind solche Verhaltensmuster vielleicht noch schwierig zu erkennen. Vielleicht beginnt ihr ein gewisses Muster bei denen zu sehen, die die Wahrheit gesagt haben und bei denen die gelogen haben, aber der ganze Hintergrund eines Menschen, der jetzt vor eurer Kamera sitzt und welcher nun Lügen oder die Wahrheit sagen muss, hat so viel Einfluss. Das ist das, was ich vorher noch sagen wollte. Nehmen wir an, dass jemand jetzt nicht gerne lügt und jetzt muss er lügen. Dann gibt es verschiedene Techniken. Einige Probanden, die sich Lügen nicht gewohnt sind und immer ehrlich sind, die haben dann die alternativen Verhaltensweisen (Manipulatoren), um innerlich zu kompensieren. Sozusagen Selbstberuhigung «ja ist alles gut, jetzt machst du das einfach» und andere sind sich Lügen gewohnt. Die kennen Lügen und können das, weil sie es schon viel gemacht haben und dann weiss man, wie es geht. Ein Anfängerlügner, der schaut eher weg, so wie ein kleiner, 4- jähriger Junge. Irgendwann lernt diese Person: Man muss jemanden direkt anschauen, weil wann ich jemanden anschaue, lügt man ja nicht und wenn man wegschaut, lügt man. Dann starrt diese Person jemanden an und sagt «nein, nein, ich habe nicht gelogen». Und der Profi, der macht genau dasselbe, was er vor der Lüge schon getan hat- er ändert sein Verhalten quasi nicht. Eine Herausforderung bei euren kurzen Videos ist, dass ihr keine Baseline habt, ihr kennt die Person nicht. Ihr müsst quasi ad hock jemand Unbekanntes einschätzen, das ist schwierig. Also wenn jetzt ihr mit jeder Person ein kurzes Vor-Interview gehabt hättet, dann könnt ihr euch darauf einstellen und dann müsste die Person, ohne dass ihr es seht, 5 Bilder anschauen und bei jedem Bild Lügen oder nicht Lügen. Das hättet ihr vorher kalibrieren können und dann merken, ah okay, jetzt hat er ein anderes Verhalten oder jetzt hat er länger gebraucht bis er eine Antwort gegeben hat, jetzt hat er kurz aufgeschaut, umhergeschaut. So hättet Ihr euch einkalibrieren können. Diesen Vorteil hattet ihr jetzt nicht. Einen Lügner zu erkennen ist viel einfacher, wenn ihr die Person vorher schon kennt. Damit ihr seine Verhaltensweisen, die er mitbringt als Mensch, kenne. Seine Fähigkeiten zu leugnen, das gesamte Packet, seinen Rucksack und wenn ihr diesen schon ein bisschen kennt, ist es viel einfacher jemanden einzuschätzen. Ich sehe, wenn mein Sohn lügt, weil ich ihn kenne. Aber wenn ich einen Menschen auf der Strasse treffe und der würde mir sagen: Hey, ich bin Präsident vom Verein XY, dann würde ich sagen: «okay, kann sein» weil ich mich nicht einstellen konnte auf diese Person.

Okay, aber könnte es nicht auch sein, dass man so eine Voreingenommenheit gegenüber dem Menschen hat, wenn man einen Menschen nicht sehr mag, dass man eher denkt, dass er lügt ?

Ja, ihr bringt dann selbst etwas mit rein. Wir bilden uns eine Meinung und wenn diese Meinung gebildet ist, probieren wir als allererstes zu beweisen, dass wir mit dieser Meinung Recht haben. Viele Wissenschaftler sind trainiert darauf, dass sie eine Annahme stellen und dann probieren so gut wie möglich nicht auf dieser Annahme zu beharren, denn es könnte auch das Gegenteil sein. Aber je nachdem wie ihr eure Studie definiert habt, beeinflusst das ja auch schon den Ausgang damit. Also ihr sucht nach Beweisen, dass eure Studie stimmt oder eure Behauptung stimmt und ihr ignoriert unbewusst Sachen, die dagegen sprechen könnten, stellt Fragestellungen nicht, welche in eine andere Richtung zeigen könnten. Das ist bei jeder Studie im Prinzip so. Man beeinflusst selbst auch das Ergebnis, ohne dass man es auch beeinflussen könnte.

Wir haben uns auch ein bisschen mit forensischer Psychologie befasst und hatten mit jemandem ein Interview und sie hat dann gesagt, Lügner zu entdecken ist Glückssache und auch Polizisten, welche trainiert worden sind und Ausbildungen im Erkennen von Lügen gemacht haben, meinen dass dies immer noch so ca 50/50 ist. Darum haben wir uns dazu entschlossen mit jemanden wie Ihnen ein Interview zu machen, um noch wie erhofft eine andere Meinung zu hören, denn sie war mehr so: Das geht gar nicht, das kann man gar nicht.

Meine persönliche Meinung ist, und jetzt schaue ich einfach mal zurück auf 12 Jahre Kommunikationsweiterbildung: Ich kann nicht sagen, dass es nur ein einziges spezifisches Werkzeug gibt, anhand dessen ich erkennen kann, ob jemand lügt. Ich kann erkennen, wenn in jemandem etwas vorgeht und auch in welche emotionale Richtung es geht, indem ich auf 6 oder 7 Aspekte schaue, die ich mittlerweile auf einer breiten Ebene prüfe. Wichtig ist, immer vorher zu kalibrieren, dass ich mich zuerst auf diese Person einstelle: wie ist sie normal- also die Baseline erstellen. Und dann schauen, wie ruhig ist die Person. Ist sie völlig in sich, die Ruhe in Person? Je mehr Bewegung reinkommt, desto mehr innere Unruhe. Der Körper ist immer auch ein Spiegel von innen. Also wenn die Person ein unruhiges Bewegungsbild hat, da könnte man meinen, da geht irgendetwas vor. Selbstberührung gehört auch dazu. Augen, Mimik und Timing, wie lange gehen die Bewegungen und wann tauchen sie auf. Manchmal auch videomotorische Sachen wie zum Beispiel rote Ohren oder ein tiefes befreiendes Atmen. Und das ist die Mischung von all dem. Gelernt habe ich das über die Jahre, genau wie das Autofahren: Anfangs konzentriert man sich auf viele einzelne Details und es ist überfordernd. Doch mich den Jahren fährt das Auto fast von alleine weil man die Verhaltensabläufe internalisiert hat.

Unsere Hypothese ist, dass man es erlernen kann, Lügen zu erkennen. Aber dort geht es nicht nur darum mit Mimik und Gestik sondern allgemein, dass man lernen kann, Lügen zu erkennen. Was würden Sie jetzt sagen, ist es möglich?

Ich spreche jetzt nur aus der Erfahrung, ich zitiere kein Buch. Ich bin der Meinung man kann emotionale Gefühlsveränderungen wahrnehmen lernen. Ob es jetzt eine Lüge ist oder ob die Person in diesem Moment gerade daran denkt, dass sie auf den Zug rennen muss, dass weiss ich nicht. Das hat es auch schon gegeben. Aber emotionale Gefühlsveränderungen wahrnehmen kann man lernen. Und im weitesten Sinne die gesamte Körpersprache. Das muss nicht nur die Mimik sein, Mimik ist am einfachsten, da wir als erstes das Gesicht anschauen und vor allem im Winter, wenn man so viele Kleidung an hat, sieht man meistens nur das Gesicht, dann muss man mehr auf die Mimik gehen. Ansonsten kommt noch die Gestik, Haltung oder Bewegungsmuster dazu. Das wäre so meine kurzgefasste Antwort.

Was ihr vielleicht auch noch in Betracht ziehen könnt bei eurer Arbeit: Gute Lügner sind zum Beispiel Schauspieler. Und warum können diese so gut schwindeln? Weil sie sich in etwas «hineinsteigern». Sie stellen sich vor «Ich bin jetzt Al Capone, ich bin jetzt diese Person». Dann ist es viel einfacher, kongruent und authentisch die Rolle dazustellen.

Sie haben dann so wie das Gefühl, es ist die Wahrheit, sozusagen. 

Genau. Wenn der Lügner denkt, dass die Lüge die Wahrheit ist, lügt er kongruent oder authentisch.

Und jetzt die, die die Lügen erkennen wollen, kann es sein, dass auch ein biologischer Aspekt mitspielt? Beispielsweise ein Kind wo bereits früh sehr aufmerksam war, spielt das eine grosse Rolle?

Das kann einen Einfluss haben. Michael Kramer, ein guter Trainerkollege von mir, er trainiert auch den Bereich Körpersprache für Trainer in Deutschland. Er war fast blind und hatte nicht sehr gute Augen. Darum war es ihm besonders wichtig, die Welt um ihn herum wahrzunehmen. Und darum hat er bereits als Kind sehr viel mehr begonnen zu schauen und wahrzunehmen. Also durch seinen Nachteil am Anfang hat er jetzt sehr viel aufgeholt und hat begonnen die Menschen wahrzunehmen, stärker als andere. Er sagte auch, er höre sehr viel mehr, kann in der Stimme Muster erkennen, wo andere gar nichts hören. Es gibt ja auch in der Stimme sehr sehr viele Aussagen. Also Merhabian sagte, dass 38% der Aussagekraft von der Stimme kommt. Mittlerweile ist diese Studie etwas überholt, die ist schon so alt. Seit drum:

Man kann so viel mit der Stimme aussagen. Einen einzigen Satz kann man in 1000 verschiedenen Varianten sagen. Und das Gesagte unterstreicht entweder was die Mimik sagt, was die Gestik sagt. Oder eben nicht. Wenn das was ich sage nicht zu dem passt, was ich zeige, entsteht ein komisches Gefühl beim andern. Also wenn ich Komplimente mache mit einem unpassenden Stimmmuster, dann kommt es nicht an. Es muss alles zusammen passen, synchron. Quasi wenn die Kommunikation synchron ist, das bedeutet mindestens drei Sachen weisen in dieselbe Richtung, kann man davon ausgehen, dass die Aussage stimmig ist und richtig rüberkommt.

Danke für diesen Input. Gibt es abschliessend noch etwas, dass Sie meinen, sei wichtig zu wissen?

Ja, wir bekommen so viele Prägungen mit, kulturelle Prägungen wie man die Körpersprache nützt, kulturelle Prägungen wie man mit Lügen umgeht. In einem Land ist es völlig okay wenn man eine Notlüge sagt, in einem anderen Land ist das schon wieder schlecht. Wenn man dem Arbeitsgeber sagt, dass man krank war, dabei war man gar nicht krank, dies wird je nach Land unterschiedlich gehandhabt. Da gibt es kulturelle Unterschiede, familiäre Unterschiede und es gibt so viele Bereiche, die uns persönlich beeinflussen, dass dies sogar unsere Körpersprache beeinflusst. Das wichtigste ist immer, den Mensch vor sich sehen zu können, mich auf ihn einzustellen. Merke ich wie die Person sich bewegt, wie sie kommuniziert? Dies kann ich dann als Baseline nehmen. Von diesem Moment an kann ich die Person richtig interpretieren oder verstehen. Wenn es so ein Rezept gäbe, dann wäre es schon geschrieben. Ich kenne es noch nicht.

Vielleicht kommt ja mal noch was, wer weiss.

Das wäre der ultimative Kassenschlager wahrscheinlich.

Vielen Dank für das Interview!

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